Konzert-Kritik: Ought & Re-TROS, 19. August 2015 im Bogen F in Zürich

Erstaunlicherweise hatten sich an diesem Mittwoch Abend vor dem Bogen F doch mehr Leute versammelt, als man sich ausgemalt hatte. Scheinbar war die Neugier auf diese zwei speziellen Bands doch grösser, als die Skepsis vor der sperrigen Musik. Den Beginn des Doppelkonzertes machten Re-TROS, eine dreiköpfige Indie-Elektro-Rock-Band aus China. Zackig, energisch und ungemütlich starteten sie in ihr etwa 1-stündiges Set, und so sollte es auch bis zuletzt bleiben. Ungemütlich ist wohl das Wort, welches das Erlebte am besten beschreibt. Musikalisch boten die drei eigentlich eine solide Leistung. Die Songs waren zwar meistens nach dem selben Schema aufgebaut, aber die Melodien hatten Drive und gefielen. Was immer wieder wie ein Störfaktor dazwischenfunkte, war die höchst eigentümliche Art von Sprech-Schrei-Gesang des Frontmanns namens Hua. Diese dadurch entstehende Aggressivität, gepaart mit der stets hohen Lautstärke ohne grosse Wechsel machte das aufmerksame Zuhören nicht einfach. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich viele Konzertbesucher in sichere Distanz vor die geöffneten Türen des Bogen F flüchteten, um von da aus das Geschehen weiter zu beobachten. Ihre neuere, elektronischere Seite zeigten Re-TROS dann erst gegen Ende ihrer Show für die letzten paar Songs. Vielleicht hätte etwas mehr Abwechslung innerhalb des Sets gut getan. Im Endeffekt war es trotzdem spannend, die Indie-Szene aus China kennen zu lernen. Da Indiemusik enorm viel kreative Freiheit braucht, um zu wachsen, war es in China bisher generell schwierig, diesen Musikstil zu verfolgen. Es ist deshalb umso beeindruckender, dass eine Band nun tatsächlich um die Welt tourt. Es scheint aber tatsächlich so, als wären sie in der musikalischen Entwicklung ein paar Jahrzehnte im Rückstand. Das macht ihre Musik, trotz des interessanten Backgrounds, halt etwas weniger spannend und einiges anstrengender für europäische Ohren.

Nach einer kurzen Umbaupause ging es bald weiter mit Ought. Auf diese war man an diesem Abend besonders gespannt, da sie im vergangenen Jahr von Pitchfork und anderen Musik-Gorillas gehypet wurden und als „neuster heisser Scheiss“ gehandelt wurden. Nun, was ist dran, an diesen Behauptungen?

Sehr jung und unscheinbar sind sie, die Jungs von Ought. Beinahe unbemerkt huschten sie auf die Bühne und legten sofort los mit einem Song, den man auf eine liebevoll verschrobene Art durchaus als Hit bezeichnen könnte, nämlich mit „Pleasant Heart“ von ihrem ersten Album „More than Any Other Day„. Wahrscheinlich wollten sie damit dem Publikum den Zugang zum nachfolgenden Set etwas erleichtern, was ihnen auch gelungen ist. Aber im Gegensatz zu ihren Kollegen von Re-TROS boten Ought generell etwas leichtere Kost, aber schlussendlich genau so ein happiges Konzert, einfach im positiven Sinn. Dabei war es live absolut grandios zu erleben, wie Sänger Tim Beeler seine Stimme wie ein Chamäleon der Stimmung in der Musik anpassen konnte und mit einer total coolen und einnehmenden Bühnenpräsenz auftrumpfte. Ausserdem spannend zu merken, dass er die Worte und Sätze gezielt rhythmisch in die Songs einbrachte und so beinahe zu einem perkussionistischen Teil der Instrumentalisierung wurde. Auch ihre Musik strahlte sehr viel Aggression aus. Viele ihrer Songs sind hektisch und explosiv gestaltet und entwickelten Live natürlich noch eine viel stärkere Gewalt. Aber die Arrangements sind, trotz jammernden und störenden Gitarrenriffs, auf eine eigenartige Art und Weise trotzdem harmonisch und stimmig. Die musikalische Reife der jungen Musiker muss man ausserdem ebenfalls erwähnen, denn die Songs überraschen allesamt durch raffinierte Wendungen, tolle Steigerungsmomente und neuartige, faszinierende Melodien. Gegen Ende des Sets zeigten Ought dann sogar noch eine etwas ruhigere Seite, und zwar mit einem eigenen Song und einem Cover von Grateful Dead (wenn man das durch den starken Akzent des Frontmanns richtig verstanden hatte). Hier kam Frontmann Tim dann auch mehr zum richtigen Singen, statt seines allgegenwärtigen rhythmischen Sprechgesangs, was erstaunlich toll klang und man zukünftig auf jeden Fall weiter einbauen könnte in ihre Musik.

So kann man also dem überschwenglichen Lob von Pitchfork und Co. durchaus zustimmen. Eine Band, die ganz sicher nicht für jedermann geeignet ist, aber auf jeden Fall eine Band, der man noch vieles zutrauen kann. Im September erscheint ihr bisher zweites Studioalbum und man darf deshalb annehmen, dass die nächste Clubshow bereits in Sichtweite ist.

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