Konzert-Review Okkervil River, 21. November 2013 im Palace St. Gallen

Man kann sich keine passendere Location für Okkervil River wünschen, als das Palace in St. Gallen – die perfekte Grösse, nicht zu gross und nicht zu klein, von jedem Platz im Raum sieht man tiptop auf die Bühne, ein wunderbar charmantes Ambiente und vor allem guter Sound. Falls Okkervil River überhaupt schon einmal in der Schweiz waren, so ist das viel zu viele Jahre her, also war es langsam allerhöchste Zeit, dass die Texaner endlich ein Konzert gaben.

Den Auftakt für diesen Konzertabend macht Pedro Lehmann. Pedro Lehmann ist eine Band-Kombo aus Altstätten (SG), bestehend aus dem Sänger und Gitarristen Yannick Gächter und dem Schlagzeuger Sven Wüst. Viel erwartet man wegen der schlichten Instrumentalisierung nicht, als die Jungs die Bühne betreten. Junge mit Gitarre, das kennt man schon von vielen Vorbands und meist endet es in einem langweiligen Dahindümpeln von Akkorden. Jedoch schlagen die beiden jungen Musiker bald alle Zweifel in die Flucht: Eine Band braucht Yannick Gächter nicht. Und ein Mikrofon bräuchte er eigentlich auch nicht. Gächter und sein Schlagzeuger, das ist eine Kombination, die in dieser Form absolut funktioniert und jedes Instrument, das noch dazukäme, wäre ein unverschämter Störfaktor. Viel lieber lauscht man aufmerksam der unfassbar flexiblen Stimme des Sängers, die in den tiefen Stimmlagen ein so warmes und leicht kratziges Timbre entwickelt, dass man zeitweise an den betörenden Bass eines Sivert Hoyem erinnert wird. Aber Gächter schafft mehr. Er erschafft mit seiner Stimme berührende Melodien, die manchmal beklemmen, manchmal erfreuen aber vor allem mitten ins Herz treffen. Jeder Ton sitzt am richtigen Ort, man saugt die Musik förmlich in sich auf. Er lässt seine Stimme in den hohen Lagen an den richtigen Stellen sanft brechen, was Gänsehaut verursacht, er schreit in der Manier eines Glen Hansard plötzlich inbrünstig ins Mikrofon, dass es weh tut, aber auf eine schöne Art. Und dann setzt er ganz unerwartet zu einem so unerhört klaren Falsett an, dass einem die Haare zu Berge stehen. Mit der Gitarre wird das Ganze mal sanft, mal pulsierend umgarnt und die Drums bieten eine spannende und stimmige Basis. Schlagzeuger Sven Wüst verleiht jedem Song einen ganz eigenen Charakter. Mit seinen vielseitigen und liebevoll gestalteten Rhythmen, die trotz der Intensität seines Spiels schlicht, aber effektiv wirken und sehr strukturiert gehalten sind, ergänzt er den Gesang und die Gitarre harmonisch und spannend zugleich.

Die Musik von Pedro Lehmann ist höchst emotional. Der düstere und melancholische Indie-Rock passt einfach zu ihnen, sie wissen damit umzugehen, ohne in bereits zu oft gehörte Muster abzudriften. Ein überraschender, aufwühlender Start in den Abend.

Danach ist die Bühne bereit für die lange erwarteten Okkervil River. Die Texaner winken etwas verlegen ins Publikum, machen sich an den Instrumenten bereit und legen los, und das mit Vollgas. Vom ersten Ton an beherrscht eine enorme Spritzigkeit und ein Tempo ihr Spiel, so dass man gar nicht anders kann und sofort mittanzen muss. Jedoch hier, vorab der Kritik zu Okkervil River, direkt zum ersten Wermutstropfen: Die ersten paar Reihen des Palacer Publikums standen grösstenteils bewegungslos und ziemlich uninteressiert da. Was für eine Schande! Selten hat man so ein uninspiriertes Publikum gesehen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich in den ersten Paar Reihen ausschliesslich Teenager-Pärchen tummeln, die wahrscheinlich Stammgäste im Club sind, aber nicht wirklich wissen, wer diese Typen da auf der Bühne sind und dementsprechend keinen Bezug zu ihrer Musik finden, die zwar sehr poppig und tanzbar sein kann aber eben auch viele typische sperrige Momente hat.

Frontmann Will Sheff und seine Band lassen sich davon zum Glück nicht sonderlich beeindrucken. Sie fegen mit ihrem Set leidenschaftlich über die Bühne, füllen mühelos den ganzen Konzertraum aus und zeigen einen guten Überblick über ihre vielen Alben. Vorwiegend kommen neuere Songs vom kürzlich veröffentlichten Album Silver Gymnasium zum Tragen, die live noch viel besser rüberkommen als auf den Aufnahmen. Sie schaffen es, einen guten Spannungsbogen über das ganze Konzert zu halten und so flacht die Stimmung auch nicht ab, als Will Sheff alleine an der Gitarre zwei Songs performt. Ganz im Gegenteil, man hat das Gefühl, dass das Publikum zum ersten Mal an diesem Abend ein wenig auftaut. Aber so richtig kommt die Stimmung scheinbar erst in Gang, als sie ihren grossartigsten und wohl düstersten Song „For Real“ spielen, der live eine Energie und Kraft entwickelt, die man nicht in Worte fassen kann.

Will Sheff, dieser verträumte, wuschelköpfige Indie-Nerd, hat auf der Bühne eine ruhige, einnehmende und äusserst sympathische Ausstrahlung. Man merkt überhaupt nicht, was da für ein unfassbar talentiertes Musik-Genie vor einem steht, er wirkt wie der nette Nachbar von nebenan. Auch seine Band, allesamt ausserordentliche Musiker, strahlen eine Harmonie und Beständigkeit aus, die deutlich macht, dass das Zusammenspiel untereinander bis ins kleinste Detail funktioniert und allen Beteiligten Spass macht. Das schafft eine familiäre, entspannte Atmosphäre, in der ihre persönliche und intime Musik bestens zur Geltung kommt. Meist singt Will Sheff sehr konzentriert, mit geschlossenen Augen, um dann plötzlich wieder wild herumzutanzen, sich ins Publikum zu strecken, um eine Verbindung mit den Zuhörern zu schaffen, erzählt lallend kleine Anekdoten oder witzelt über die Band. Okkervil River sind eine Band zum Anfassen, sie stecken all ihre Leidenschaft in die Musik, das merkt man sehr deutlich. Einfach eine grandiose Live-Band!

Das Konzert ist leider viel zu bald zu Ende, trotz beinahe 2-stündiger Spielzeit inklusive Zugaben. Viel zu bald muss man sich verabschieden von den Texanern, die mit ihrer Musik die Herzen höher schlagen lassen, als wäre es das Normalste auf der Welt.

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