Konzert-Kritik: Damien Rice, Other Lives & Broken Twin, 23. August 2014 an den Musikfestwochen Winterthur

Die Musikfestwochen Winterthur sind jedes Jahr wieder ein musikalisches Ereignis der Superlative. Egal ob man bei den Gratiskonzerten neue, aufstrebende internationale oder alteingesessene nationale Acts bestaunt, oder an den drei kostenpflichtigen Abschlusskonzerten mit grossen, internationalen Künstlern teilnimmt: Die Musikfestwochen sind ein Garant für ein erstklassiges, liebevolles und stimmiges Line-Up sowie ein herzliches, familiäres und unkompliziertes Ambiente. Der zweite kostenpflichtige Konzertabend der Musikfestwochen Winterthur wartete mit Broken Twin, Other Lives und Damien Rice auf, und über diesen Abend möchte ich heute schreiben.

Der erste Act des Abends sorgte für einen relativ ruhigen und besinnlichen Start: Broken Twin ist das Pseudonym der Sängerin Majke Voss Romme aus Kopenhagen, auf der Bühne begleiteten sie dieses Mal eine Handvoll Musiker. Ihre Musik ist eine athmosphärische, reduzierte Kombination aus Klavier, Geige und Gesang. Gerade erst begleitete sie mit ihren Mitmusikern internationale Künstler wie Daughter und James Vincent McMorrow auf ihrer Tour und weist deshalb schon reichlich Bühnenerfahrung auf. Mit einem dementsprechenden Selbstvertrauen bestritten die jungen Musiker dann auch ihr gemächlich voranrückendes Set, was nicht ganz einfach war. Schliesslich stellten sich ihnen eine munter schwatzende Steinberggasse sowie ein unglaublich heftiger Gewitterregen in den Weg. Nichts desto trotz war ihr Auftritt, trotz einiger Längen und wenig eingängigen Songs, erstaunlich kurzweilig und sorgte für ein paar erste Gänsehautmomente.

Die zweite Band formte an diesem Abend die aus Oklahoma stammenden Jungs von Other Lives. Diese bezeichnen ihren Musikstil selber als simplen Folk, was man im ersten Moment gar nicht so recht glauben mag, wenn man sie live performen sieht. Die Band entwickelte live, nicht zuletzt dank ihren zusätzlichen Mitmusikern und der tollen Musikanlage der Musikfestwochen, eine massive und eindringliche Wucht, so dass man ihren Stil mühelos als satten Indierock bezeichnen kann. Sänger Jesse Tabish wechselte von Piano zu Gitarre, hoppste und stampfte dabei energisch im Takt und suchte immer wieder den Kontakt zum Publikum, während seine gut eingespielte Band ihm routiniert und engagiert den Rücken stärkte. Dem Publikum gefiel’s und die Stimmung nach dem Konzert war aufgeladen und erwartungsvoll.

Der Weg war geebnet für einen der talentiertesten Singer/Songwriter der heutigen Zeit: Damien Rice. Der Ire hat sich in seiner Anfangszeit, damals noch mit Partnerin Lisa Hannigan, einen Namen gemacht mit seiner melancholischen, berührenden Musik und den Songtexten, die jedem aus der Seele zu sprechen schienen. Durch seine ehrliche und sensible Art und das intensive Vortragen seiner Songs eroberte er seine Fans und die Musikkritiker im Sturm. Sein grosses Erfolgsalbum „O“ (erschienen 2003) ist eine pure Ansammlung von Meisterwerken.

Damien bewies an diesem Abend in der Steinberggasse viel Mut – er erschien nämlich ohne Band und agierte abwechslungsweise an Gitarre und Klavier. Gerade in den hinteren Reihen führte das im Verlaufe des Abends immer wieder zu genervten „Schhhhhh“-Geräuschen, welche, gepaart mit viel Geplapper im Publikum, den schüchternen Sänger laufend übertönten. So bemerkten wahrscheinlich nur die ersten paar Reihen, dass er in absoluter Topform war und seine Songs gefühlvoller und leidenschaftlicher denn je vortrug. Ganz zu schweigen davon, dass es quasi ein Best-of-Set war und keiner seiner „Hits“ fehlte. Doch gerade diese stille, gefühlvolle Art liess seine überwältigende Musik beinahe an den Hauswänden der Steinberggasse abprallen. Vielleicht war auch das der Grund dafür, dass er kaum mit dem Publikum kommunizierte während des Konzertes und sich nur auf seine Songs zu konzentrieren schien. Nur selten taute Rice etwas auf. Das erste Mal, als er sich eine Frau aus dem Publikum schnappte (Sarah Weibel, Sängerin der Band Anam Tara), um mit ihr den Song „I remember“ zu performen, welchen er früher mit Lisa Hannigan gesungen hatte – oder, als er mit einer anderen jungen Dame aus dem Zuschauerraum auf der Bühne Wein trank, um mit diesem witzigen Intro den Song „Cheers, Darling“ einzuläuten. Und erst als er gemeinsam mit der Vorband Other Lives den Song „Ain’t no Sunshine“ als vorletzte Zugabe improvisierte, schien er wirklich in seinem Element zu sein. In diesem Moment schien er es zu geniessen, auf der Bühne zu stehen und wirkte deutlich lockerer und freier.

Damien ist auch ohne Band eine Wucht, wenn er mit seiner herzzerreissenden Stimme Schmerz, Liebe, Hass und die berührenden und schönen Momente im Leben besingt. Und doch hätte ihm eine Band als Unterstützung so gut getan, um aus der ruhigen, besinnlichen Clubathmosphäre doch noch ein Openair-Konzert werden zu lassen, dass die Steinberggasse bis zum letzten Winkel mitreissen konnte. Dieser Wehmut zum Trotz war das Publikum zum Schluss des Konzerts hin und weg von dem kleinen Iren und feierte ihn mit frenetischem Applaus.

Und doch bin ich immer noch der Meinung, nach all den Jahren ohne sie: Lisa fehlt. Und sie wird immer fehlen. Und hier ist der Beweis dafür. 😉

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