Exklusiv: Interview mit Frank Turner

Frank freut sich über das Bier aus Basel und Killerqueen freut sich über Frank.

Im Rahmen vom m4music Festival in Zürich durfte Killerqueen Frank Turner interviewen. Trotz einer ganzen Stunde sehr intimen Keynote-Talk mit Britta Helm (Visions, Berlin) war der Engländer immer noch bestens gelaunt und gesprächig.

Hi Frank. Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst für das Interview. Du warst gestern noch in Frankreich, ich glaube in Strasbourg?

Ja, das war super, ich war noch nie in Strasbourg. Die Show war wirklich unglaublich! Ein fantastisches Publikum und eine coole Stadt.

In welcher Location hast du gespielt?

Das war die La Laiterie. Es war eine richtige Killer-Show. (lacht)

Das klingt doch super. Du warst vorhin noch im Keynote Talk mit Britta Helm. Das Thema war unter anderem deine Charity-Reise nach Sierra Leone. Wie kam es eigentlich dazu?

Ich arbeite schon länger mit einer Gruppe die sich „Joe Strummer Fundation“ nennt (Anm. d. Red.: Joe Strummer war Frontmann der Band „The Clash“). Das ist ein Wohltätigkeitsverein, der von Joes Familie gegründet wurde. Sie haben eine Fundraising-Agentur, welche Geld sammelt für verschiedenste Projekte überall auf der Welt. Eines davon ist „Way Out Arts“ in Sierra Leone, welches sie wieder einmal in den Vordergrund rücken wollten. Der Leiter des Projekts, Jamie, ein langjähriger Freund von mir, rief mich an und fragte, ob ich helfen und nach Sierra Leone reisen möchte. Ich war zuerst ziemlich skeptisch, aber wir haben sehr lange darüber gesprochen und ich sagte schliesslich zu. Aber obwohl ich viele Bücher gelesen habe über die Situation in Sierra Leone und Wohltätigkeitsarbeit im Allgemeinen war ich trotz allem ziemlich unbedarft, als ich dahin reiste. Ich lernte dort sehr, sehr viel in einer sehr kurzen Zeit und es war auf jeden Fall eine Erfahrung, die mein Leben veränderte.

Was war denn für dich persönlich das Wichtigste, das du auf dieser Reise gelernt oder erfahren hast?

Ich versuche mich, neben meiner Musik, soviel wie möglich für Wohltätigkeit zu engagieren, wie ich nur kann. Und ich habe schon sehr viele Shows für die Joe Strummer Fundation gespielt in der Vergangenheit. Aber es ist schon etwas total anders, einen Gig in London zu spielen und das ganze Geld geht dann einfach weg an Hilfsprojekte, als dann persönlich vor Ort zu sein und zu sehen, was eigentlich mit dem Geld passiert und was tatsächlich an diesen Orten geschieht, diese Kinder und all die beteiligten Personen zu treffen, die tagtäglich für diese Projekte arbeiten. Und es war unglaublich: Zur Zeit arbeiten dort zwischen 40 bis 50 Personen. Und es war schon recht eindrücklich, dass sie mir, jeder einzelne, beinahe schon auf eine energische Art und Weise versuchten mitzuteilen, wie unglaublich wichtig dieses Projekt für sie ist. Sie hielten ganze Reden vor mir, welche sie vorbereitet haben, um mir mitzuteilen, wie „Way Out Arts“ ihr Leben verändert hatte. Das bewegendste Schicksal war wohl das von Mash-P, der ein Kindersoldat war und ein wahnsinnig bewegendes Leben hat und nun mit der Musik endlich wieder Inhalt im Leben findet. Es kommt einem dann irgendwie ziemlich lächerlich vor, wenn wir hier, mich mit einbezogen, behaupten, Musik hätte unser Leben gerettet. Ich meine, wir sind im Westen geboren oder in Europa und es geht uns hier so verdammt gut. Und wenn dann Mash-P zu mir kommt und mit dieser bewegenden Geschichte sagt „Music saved my life“, dann ist das einfach richtig wahr in einer ziemlich direkten und einfachen Weise. Diese Erfahrung zu machen, dass Musik wirklich Leben retten kann, war für mich wohl die Wichtigste.

Du hast vorhin auch von deinem neuen Album gesprochen und dass du gerade mittendrin im Schreibprozess bist?

Ja das stimmt. Also eigentlich bereits am Ende, hoffe ich zumindest! (lacht)

Du hast erwähnt, dass das neue Album wieder ein sehr politisches Werk werden soll. Meinst du, dass die Zeit in Sierra Leone jetzt noch zusätzlich einfliesst in deine neuen Songs?

Ich weiss es nicht genau. Ich mache mir etwas Sorgen, denn ich möchte nicht, dass es so ein „Life Aid“-Projekt wird. Ich meine, Songs über Kinder in Afrika im Sinne von dieser ganzen Mainstream-Vermarktung schreckt mich ziemlich ab. Aber vielleicht, wer weiss. Ich bin erst vor zwei Wochen nach Hause gekommen und muss das alles erst noch verarbeiten.

Du hast bereits ein Buch geschrieben, du hast das Wembley gefüllt, dein Dokumentationsfilm „Get better“ wird bald in amerikanischen Kinos gezeigt, du bist extrem aktiv auf Social Media, du spielst dauernd Konzerte und dazwischen bringst du noch Alben raus: Woher nimmst du nur all diese Energie?

(lacht) Naja, ich denke das ist vor allem eine genetische Sache. Ich habe zwei Schwestern, die genau so energiegeladen und aktiv ihre Leben führen. Ich glaube, ich habe das von meinem Grossvater geerbt, er war ein sehr vielbeschäftigter Mann, auf eine gute Art und Weise. Aber ich bin auch angetrieben von diesem Privileg, wie ich mein Leben führen darf. Ich habe das unglaubliche Glück, den Traum von einer Musikerkarriere zu führen. Und ich kenne soviele tolle Musiker, die weitaus talentierter sind als ich, und diesen Sprung in die Berühmtheit nicht geschafft haben. Ich hatte da einfach verdammt viel Glück! Aber schlussendlich werden wir alle irgendwann sterben. Ich kann nicht einfach rumsitzen und Videospiele spielen. Ich denke dann immer: „Meine Güte, was für eine Zeitverschwendung!“ Denk nur mal an all die Dinge, die du in dieser Zeit verwirklichen könntest. Ich war in Texas Anfang März und traf da einige Produzenten wegen des neuen Albums. In einer Bar traf ich dann einen alten Mann, es kam mir vor wie in einer Filmszene. Er sagte zu mir: „Lass mich dir ein Geheimnis verraten: Das Leben ist lang! Alle sagen, das Leben sei so kurz. Aber es ist so lang! Du hast so viel Zeit um soviel zu tun, solange du die Zeit auch wirklich nutzt.“ Und irgendwie hat mich das sehr berührt. Ich verbringe sehr viel Zeit damit, darüber nachzudenken, dass ich nicht mein ganzes Leben lang nur Musik machen will. Ich liebe was ich tue und ich denke, das ist auch etwas, was ich wirklich gut kann. Aber ich denke darüber nach, auch mal etwas ganz anderes zu tun. Zum Beispiel ein Geschichtsbuch zu schreiben, ein Jahr lang die Welt zu bereisen, oder einfach irgend etwas anders zu tun für eine längere Zeit. Aber wir werden sehen.

Also wirst du früher oder später eine Pause von der Musik machen?

Vielleicht. Aber, weisst du, ich sage das schon seit drei Alben. (lacht) Also der Zeitpunkt ist noch nicht gekommen. Ich habe immer noch das Gefühl, ich habe soviel zu sagen mit meiner Musik. Und solange das der Fall ist, werde ich auch keine Pause machen.

Hast du das Gefühl, es gab für dich einen Wendepunkt in deiner Karriere? Einen Zeitpunkt, wo du dachtest: Ok, jetzt habe ich es wirklich geschafft?

Etwas, wofür ich wirklich dankbar bei der Entwicklung meiner Karriere bin, ist, dass ich keine spezifischen Momente nennen kann, die meine Bekanntheit zum Explodieren gebracht haben. Ich habe Freunde in Bands, die wirklich von heute auf morgen berühmt geworden sind, weil irgend etwas passiert ist. Ich habe das Gefühl, dass das wirklich schwierig sein kann, vor allem für sehr junge Leute. Bei mir hat sich das alles ziemlich stetig entwickelt, darüber bin ich sehr froh. Die Zeit, als ich angefangen habe, Stadion-Shows zu spielen, war ich schon um die dreissig Jahre alt und schon sehr erfahren. Wenn ich mir vorstelle, dass ich vor 2 Monaten noch in einer Bar vor 10 Leuten gespielt hätte und danach plötzlich in einem gefüllten Stadion vor 10’000 Leuten und das mit nur 22 Jahren: ich glaube, ich wäre durchgedreht! Wenn du dich aber wie ich von Nichts hochgearbeitet hast und dich von Venue zu Venue gespielt hast, ist das viel einfacher zu verarbeiten. Wenn du berühmt bist, wirst du mit soviel „Bullshit“ konfrontiert. Dadurch, dass ich mich schon so lange in der Branche bewegte und das alles schon bei anderen Bands mit angesehen hatte, konnte ich viel besser damit umgehen, als es mich dann selber betraf, denn ich habe diese Situationen alle schon gekannt. Also ich kann wirklich keinen Wendepunkt nennen und das ist ganz gut so. Aber eine lustige Geschichte: Ich hatte letztes Jahr eine Unterhaltung mit einem Typen aus der Musikszene und wir redeten darüber, dass nie jemand kommt und dir eine Medaille gibt, die dir sagt: „Jetzt hast du es geschafft!“ Wenige Monate später kam er an eine meiner Shows und gab mir eine Medaille auf der stand: „You’ve made it!“ Also ist es jetzt offiziell, ich habe es geschafft. (lacht)

Du hast beim Keynote Talk vorhin gesagt, dass du schon viel ruhiger geworden bist, dir mehr Pausen auf Tour nimmst und auch besser auf deine Gesundheit achtest. Kannst du dir das überhaupt vorstellen, weniger auf Tour zu sein, eine Familie zu haben und ein ruhiges Leben zu führen?

Es ist nicht grundsätzlich so, dass ich weniger von etwas mache. Wir gehen immer noch viel auf Tour, aber ich schaue, dass ich immer mal wieder freie Tage dazwischen habe. Ich versuche einfach, meine Zeit und Energie effizienter zu nutzen. Meine Stimme ist auch nicht mehr so belastbar wie früher, ich muss ihr viel mehr Pausen gönnen. ich kann nicht mehr alles tun, was mit 20 Jahren noch gut funktioniert hat. Mit dem Gedanken Familie habe ich mich noch nie wirklich beschäftigt, aber das hat auch mehr damit zu tun, dass ich selber aus schwierigen familiären Verhältnissen komme. Jedoch möchte ich dazu gar nicht mehr sagen. Aber früher habe ich es immer gehasst, wenn ich nicht auf Tour war. Und jetzt habe ich eine Freundin und ein Haus und geniesse das sehr, wenn ich mal  längere Zeit zu Hause sein kann. Ich bin auch daran, mir da wo ich wohne ein Umfeld aufzubauen und sesshaft zu werden. Am meisten geniesse ich es, jede Nacht im selben Bett zu schlafen.

Kannst du uns drei Dinge nennen, die du auf Tour immer zwingend mit dabei haben musst?

Oh, das ist gar nicht so einfach. Ich bin nicht wirklich ein materieller Typ. Aber ich habe da so ein Ding mit Notepads… niemand versteht das Prinzip dahinter, ausser mir. Ich habe vier Stück davon und jedes brauche ich für andere Schreibprozesse oder Tätigkeiten. Meine Freundin fragt mich öfter, warum ich nicht nur ein Notepad haben kann und ich werde dann immer wütend. (lacht) Ich brauche auch Schreibhefte, weil ich zwar relativ viel auf dem Computer arbeite, aber ich möchte zum Songschreiben wieder mehr auf Papier umstellen. Ich mag es nämlich, wenn man den Schreibprozess sieht. Auf dem Computer kannst du einfach löschen und du siehst nicht mehr, was vorher da war. Aber wenn du von Hand schreibst, siehst du die Entwicklung. Ausserdem finde ich, dass Schreiben von Hand auch besser fürs Gehirn ist und irgendwie persönlicher ist. Naja und natürlich mein Laptop. Und dann habe ich noch so eine Angewohnheit, dass ich Anhänger vom Heiligen Christophorus sammle, dem Schutzpatron der Reisenden. Ich bin sonst überhaupt nicht der Typ dafür, aber ich bin diesbezüglich total abergläubig: Ich muss immer einen Heiligen Christophorus als Halskette dabei haben. Ich nehme ihn niemals ab! Ich habe nur ein einziges Mal die Kette abgelegt, als ich das MRI Scan wegen meinem Rücken machen musste, weil man in dem Gerät kein Metall an sich haben darf. Ok, ich glaube, das wären die drei Dinge: Meine vier Notepads, mein Laptop und der Heilige Christophorus.

Was für Musik hörst du gerade selber?

Die letzten paar Jahre war ich sehr fixiert auf Country. Momentan höre ich mehr Afrobeat Musik, nicht nur wegen Sierra Leone, das hat schon vorher angefangen mit Bands wie Fela Kuti und so. Das hat sich jetzt auch auf das neue Album ausgewirkt. Die neuen Songs sind sehr rhythmisch geworden. Rhythmus war bisher nie so mein Fokus, wenn ich an Songs gearbeitet habe. Ich habe in  letzter Zeit viel mit Beats, Loops und verschiedenen Perkussionsmöglichkeiten herumprobiert. Ich habe David Burns Buch „How Music Works“ gelesen, das ich übrigens wärmstens empfehlen kann. Er redet darin zum Beispiel darüber, wie die Talking Heads ihr erstes Album gemacht haben, und das war unglaublich faszinierend für mich.

Du hast kürzlich John K. Samson (Frontmann der Band Weakerthans) exklusiv interviewt für den Independent und ihr habt auch schon oft gemeinsam Konzerte gespielt. Wie war das für dich, plötzlich mit deinem grossen Idol zusammen zu arbeiten?

Ich kenne John schon seit etwa 5 oder 6 Jahren. Er ist ein richtiger Schatz und ein sehr bodenständiger Typ. Er verschwindet immer mal wieder von der Bildfläche, denn er mag es überhaupt nicht, in der Öffentlichkeit zu stehen und hat Mühe, viele Leute um sich zu haben. Ich würde uns als Freunde bezeichnen, aber wenn ich ihn dann wieder treffe und so anschaue denke ich schon: Ach du scheisse, das ist John K. Samson! (lacht) Es war für mich eine ziemliche Herausforderung, dieses Interview zu führen, ich hatte irgendwie das Gefühl ich schreibe ein Paper für einen Professor. John ist für mich der Inbegriff eines Poeten und genialen Songschreibers und ich wollte auf keinen Fall dumme Fragen stellen. Seine Antworten auf die Fragen waren dann grandios und es war für mich eine wunderbare Erfahrung. Er ist ein super Typ. Nächsten Monat spielt er einen Gig in London und wir treffen uns zum Abendessen, ich freue mich schon sehr darauf.

Bereust du etwas in deinem Leben?

Ohja! Wo wollen wir anfangen? (lacht) Da gibt es sicher viele kreative Entscheidungen, die ich heute anders treffen würde. Aber das ist halt auch Teil eines künstlerischen Prozesses, da kann ich mir selber nichts vorwerfen. Dann gibt es sicher ein oder zwei berufliche Entscheidungen, die ich bereue, aber auch da: Ich treffe sie jetzt einfach anders, ich habe daraus gelernt. Aber das ist eigentlich gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, dass ich auf der persönlichen Ebene viele Dinge gemacht habe, auf die ich überhaupt nicht stolz bin. Da gibt es vieles, dass ich heute ganz anders machen würde, hätte ich noch einmal die Chance dazu. Dazu gehört vor allem die Art, wie ich andere Leute behandelt habe und auch die Art, wie ich mich selber und meinen Körper behandelt habe. Ich habe im Keynote-Talk Clive James erwähnt, er ist ein Australier, der aber schon lange in England lebt. Er liegt leider gerade im Sterben, er hat Krebs. Er ist mein absoluter Lieblingsautor, er schrieb unter anderem das Buch „Cultural Amnesia“, das ich jedem empfehle zu lesen. Jedenfalls hat er kürzlich ein Gedicht geschrieben, welches seinen nahenden Tod thematisiert. Darin schrieb er: „After all this time I realised I should have been more kind and it’s my fate to find it out too late.“ Und daran glaube ich wirklich, ich denke das, was wirklich, wirklich zählt im Leben ist nett zu sein zu anderen Leuten. Und da waren leider viele Momente in meinem Leben, in denen ich nicht nett war zu anderen Menschen. Und das bereue ich am allermeisten.

Ich habe eine allerletzte Frage für dich: Besteht eine kleine Chance, dass es irgendwann eine Million Dead Reunion gibt?

Nein! (lacht) Ok, es ist für mich ein schwieriges Thema. Die Band hat sich damals unter ziemlich üblen Umständen aufgelöst. Das ist schon lange her und vergessen. Es ist sogar so lange her, dass ich sogar manchmal das Gefühl habe, dass das eine andere Band ist und gar nie meine eigene war. Ich bin verdammt stolz auf die Musik, die wir damals gemacht haben, ich finde, wir haben zwei wirklich coole Alben herausgebracht. Und ich werde ab und zu gefragt, ob wir wieder einmal etwas zusammen machen, aber die wenigsten kennen zum Beispiel die Band Möngöl Hörde, die ich zusammen mit Ben Dawson, ebenfalls Ex-Million-Dead-Mitglied, gegründet habe. Und das ja auch ein Hardcore-Projekt, sogar noch mit einem ehemaligen Mitglied von Million Dead, also quasi eine „Reunion“. Und da ist in naher Zukunft tatsächlich ein neues Album geplant! Es ist nur die Frage, wann wir endlich die Zeit dafür finden.

Lieber Frank, vielen lieben Dank für das spannende Gespräch. Wir freuen uns auf die Show heute Abend und dein neues Album!

 

 

 

 

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