Erstaunlich ruhig und gesittet ging es vor dem Volkshaus in Zürich an diesem Konzertabend zu. Beim Einlass draussen vor dem Hauptsaal war noch nichts von Punk oder Party zu spüren, ganz im Gegenteil: Die beeindruckend grosse Menschenschar stand geduldig in Reih und Glied an, ohne zu Drängeln und zu Pöbeln. Nichts deutete darauf hin, dass hier wenig später eine der legendärsten Punkbands Europas die Bühne betreten würde. Die Beatsteaks, mit schon bald 20 Bandjahren auf dem Buckel, würden an diesem Abend Zürich beehren. Doch genauso wie die Bandmitglieder, die sich altersmässig bereits um die 40 tummeln, sind auch ihre Fans mittlerweile älter und vernünftiger geworden – meinte man zumindest vor dem Konzert.
Doch zuerst zur Vorband: Bilderbuch aus Wien. Dass Österreicher allgemein ein Faible für schräge Musik und viel Pomp haben, ist spätestens seit Falco allen bekannt. So soll es mit Bilderbuch nicht anders sein. Die junge Bande, die sich als Gymnasiastenband zusammengesetzt hat, spielt eine eigentümliche Mischung aus Elektro-Punk und Pop. Obwohl man aus den Songtexten oft nicht wirklich schlau wird & Sänger Maurice Ernst einem durch seine affektierte Art nicht unbedingt sympathisch ist, entwickelt ihre Musik vor allem live einen eingängigen Drive, dem man sich nicht entziehen kann. So war nach ihrem überraschend kurzen Support-Konzert im Volkshaus die Stimmung im Saal schon recht euphorisch, als die jungen Wiener die Bühne verliessen.
Die Beatsteaks sind in all ihren gemeinsamen Musikerjahren kein bisschen ruhiger geworden. Obwohl man ihnen auf den letzten paar Studioalben deutlich anmerkt, dass sie mittlerweile auf etwas reifere Musik setzen und ihre Songs insgesamt poppiger und aufgeräumter daherkommen, sind ihre Liveshows nach wie vor explosive, schweisstreibende und kunterbunte Wundertüten.
So auch im Volkshaus Zürich: Frontmann Arnim Teutoburg-Weiß war trotz einem kaputten Meniskus in bester Feier- und Sing-Laune, und man staunte den ganzen Abend, zu was für Kapriolen er trotz Verletzung fähig war. Wie ein Held trat er in den hell erleuchtenden Saal, liess sich zuerst ein paar Minuten frenetisch feiern und spielte den ersten Song mit Drumcomputer und Gitarre alleine an, während nach und nach seine Bandmitglieder auf die Bühne traten. Bereits nach diesem heroischen Auftakt war die Stimmung im Publikum umwerfend. Den Beginn des Sets dominierten danach eher neuere Songs. Dramaturgisch gesehen waren die neuen Lieder geschickt platziert, denn die Stimmung würde sich so tatsächlich noch mehr steigern können.
Ebenfalls gross im Raum stand für die Berliner Band an diesem 9. November natürlich das 25-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls. Arnim erwähnte, dass er damals gar nicht begriffen hatte, was los war, als ihn seine Mutter mitten in der Nacht weckte – und schlief darauf hin selig weiter. Nicht so am diesjährigen Konzertabend in Zürich: Während gleichzeitig in Berlin in Gedenken an den historischen Moment eine riesige Feier stattfand, wurde der Mauerfall von der Band und dem Publikum in der Schweiz gleichermassen mit Pauken und Trompeten gefeiert, oder besser gesagt mit einer ordentlichen Prise Punk und Hardrock! Wenn es die energiegeladenen Beatsteaks damals schon gegeben hätte, wären sie wahrscheinlich anstelle David Hasselhoffs für den Mauerfall verantwortlich gemacht worden.
Vielleicht lag es an der grandiosen Soundanlage vom Volkshaus, aber man hatte ausserdem das Gefühl, dass die musikalische Qualität der Band extrem zugenommen hat in den letzten Jahren. Trotz der indessen grossen Routine, vor allem bei ihren Hits, spürte man eine enorme Spielfreude und eine herzliche und positive Chemie innerhalb der Band. Diese gute Laune strömte ungebremst ins Publikum über und sorgte während des ganzen Konzertes für immer wilder ausartendere Tänze sowie für wippende Köpfe und Beine bis in die letzten Reihen des Saals.
Etwa in der Hälfte des Sets entwickelte sich das Konzert schliesslich zu einem regelrechten Best-of-Gig. Wen wunderts, gerade in ihren früheren Schaffensjahren komponierten die Beatsteaks einen Hit und Ohrwurm nach dem anderen. Mit jedem weiteren Song stieg die Euphorie bei der Band genau so wie in der Zuschauermenge, es gab kein Halten mehr: das Ganze steigerte sich langsam zu einem musikalischen Wahnsinns-Exzess heran. Immer wieder liess die Band bunte Girlanden ins Publikum schiessen, liess das Saal-Licht erstrahlen, um das Publikum sehen zu können und um ungehemmt mitfeiern zu können. Nichts liessen sie aus, auch nicht die obligate Sitz-La-Ola, welche das Publikum sogar schon ohne Aufforderung ausführte, oder ihr berühmtes Cover vom Musicalsong „Hey Du“. Arnim liess sich sogar später noch mit Bierbechern bewerfen, um mit dem Mikrofonständer Baseball zu spielen – und nahm es auch sehr gelassen, als er von einem Becher ziemlich frontal am Kopf getroffen wurde. Die eingestreuten Cover von „Beast of Burden“ (Rolling Stones) oder „So Lonely“ (Police), welche die Beatsteaks auf ihre ganz eigene, punkige Art inszenierten, kamen ebenfalls super an und boten noch zusätzlich Abwechslung.
Dass man zu Beginn des ersten Zugabenblocks etwas enttäuscht war (die Jungs hatten erst etwas mehr als eine Stunde gespielt), sollte man bald wieder vergessen haben: unzählige Zugabeblocks gab die Band (das Saal-Licht war bereits angeschaltet), nicht enden wollend, während sich der Saal nach und nach leerte, bis sie dann über 2 Stunden Spielzeit vorweisen konnten und noch vor etwa knapp 100 Nasen spielten. Heutzutage eine richtige Seltenheit! Eingefleischte Fans erwähnten zwar wehmütig, dass sie früher viel länger gespielt hatten, aber das Publikum kam trotzem völlig auf ihre Kosten. Kein Hit fehlte, kein Song war zu wenig oder zuviel, eine tolle, vielfältige Mischung gepaart mit einer Bombenstimmung, einem top gelaunten Arnim, einer eingespielten, motivierten Band und das alles in einer super Location.
Und die Moral von der Geschicht: Wenn die Beatsteaks nicht rausgeschmissen worden sind, spielen sie wahrscheinlich jetzt noch Zugaben. 🙂
PS: Wer sie noch einmal sehen will, hat am 16. Dezember beim Zusatzkonzert noch eine Chance, ebenfalls im Volkshaus. Tickets gibts via Ticketcorner.
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